Zerrissene Gesellschaft - f/stop Festival für Fotografie, Leipzig 2018

Fotoausstellung "Glaube, Hoffnung, Krawall" von Miklós Klaus Rózsa. Leipzig, 23. Juni bis 1. Juli 2018


Mitschrift der Gewalt

von Jan Wenzel, publiziert im Katalog zum f/stop 2018

 

Das Jahr 1989 brachte nicht nur in Osteuropa streng gehütete Geheimnisse ans Tageslicht: In der Schweiz kam es zum „Fichenskandal“. Im Januar 1989 setzte das Bundesparlament einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss ein, der klären sollte, in welchem Umfang die Schweizer Behörden Daten von Personen und Organisationen sammelten.

 

Von der staatlichen Überwachung, die bis ins Jahr 1900 zurückreichte, waren zunächst ausländische Anarchisten, Schweizer Sozialisten und Gewerkschafter, politische Flüchtlinge und Ausländer, die ausgewiesen werden sollten, betroffen. Seit den 1950er-Jahren weiteten die Bundespolizei, die kantonalen und lokalen Polizeibehörden sowie das Eidgenössische Militärdepartement seine Aktivitäten aus. Ins Visier kamen nun auch Gewerkschafter, linke Politiker und Aktivisten. Ende der 1980er-Jahre überwachte man mehr als 700 000 Personen und Organisationen.

 

Der „Fichsenskandal“ wurde durch den wachsenden Druck der Betroffenen zu einer öffentlichen Angelegenheit. Sie drängten auf Akteneinsicht und erhielten häufig Dossiers, die vor der Freigabe nach einem Zensurschüssel von den Behörden geschwärzt worden war.

 

Der Fotograf Miklós Klaus Rózsa fand fünf Bundesordner mit jeweils 400 bis 500 Seiten mit Staatsschutzakten zu seiner Person. Rózsa, geboren 1954 in Budapest, war als Kleinkind mit seinen Eltern nach dem blutig niedergeschlagenen Ungarn-Aufstand 1956 in die Schweiz geflohen. Jahrzehntelang war er nicht im Besitz der Schweizer Staatsbürgerschaft und geriet schon als Teenager ins Visier der polizeilichen Beobachtung sowie unter den absurden Verdacht, ein Spion aus dem Ostblock zu sein. Wie viele Jugendliche seiner Generation war er auf der Suche nach kulturellen Freiräumen, die die Stadt Zürich verweigerte. Er schloss sich den Protesten an und ging mit der Kamera auf die Straße, um bei Demonstrationen zu fotografieren und die Gewalt der Polizei öffentlich zu machen.

 

Seine fotografische Gegenobservation war – wie man aus den Akten entnehmen kann – unter Polizisten gefürchtet. Mit der Kamera wehrte er sich, Opfer staatlicher Gewalt zu sein, auch wenn er häufig Tritte und Schläge sowie Untersuchungshaft in Kauf nehmen musste. Durch die Collage seiner Fotografien und der Überwachungsakten treffen Beobachtung und Gegenbeobachtung aufeinander. Bis heute wird Miklós Klaus Rózsa von Schweizer Polizeibeamten beobachtet und tätlich angegriffen.

 

Wir baten Miklós Klaus Rózsa um einen kurzen persönlichen Einblick in sein Lebenswerk: