Klaus Rózsa liess sich nicht unterkriegen. Mit seiner Kamera dokumentierte er seit der Anti-AKW-Bewegung der 1970er- und den Zürcher Jugendunruhen Anfang der 1980er-Jahre Protestbewegungen. Manchmal griff er auch zum Megafon, war häufig Demo-Teilnehmer und -Beobachter in einem. Der Fotograf richtete den Fokus oft auf die Polizei, hielt dabei auch Übergriffe fest, Fusstritte, Schläge, Gummischrot- und Tränengassalven – und geriet so selbst ins Visier der Stadtpolizei Zürich.

Infolge von Ereignissen in den 1980er-Jahren – einmal war es der Abbruch des Autonomen Jugendzentrums 1982, einmal eine Wohnungsnot-Demo 1989 – wurden zweimal Zürcher Stadtpolizisten verurteilt, weil sie den Fotografen Rózsa verprügelt hatten. 2008 hatte er sich eigentlich ins Privatleben zurückgezogen, war mit seiner Frau nach Budapest gezogen und in Zürich nur zu Besuch. Doch auf dem Weg zu einer privaten Einladung wurde er zufällig Zeuge eines Polizeieinsatzes beim damals kurzfristig besetzten Hardturm-Stadion. Er fotografierte aus der Distanz. «Rózsa, hier wird nicht fotografiert», hörte Rózsa einen Polizisten rufen; sie gingen auf ihn los, einer habe ihn gewürgt, indem er ihm den Ellbogen auf den Hals drückte; Rózsas Frau fotografierte die Szenen

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Ausschnitt aus dem Film «Staatenlos

«Ich hatte Todesangst», sagt Rózsa beim gestrigen Mittagessen. Neben ihm sitzt Erich Schmid. Der Autor und Filmer hat unter dem Titel «Staatenlos» einen Film über Rózsas Leben gedreht, der jetzt in die Kinos kommt. Nach dem Vorfall beim Hardturmstadion blieb Rózsa längere Zeit in Budapest. «Sie haben mich hinausgeprügelt», sagt er. Während er frühere Gewalterfahrungen mit der Polizei relativ gut habe wegstecken können, hinterliess diese Spuren: «Ich war traumatisiert und musste in Therapie.»

Dass etwas Rózsa verändert hatte, bemerkte auch sein Freund Erich Schmid: Bei einem gemeinsamen Essen im «Volkshaus» in Zürich zuckte Rózsa zusammen, als draussen ein Krankenwagen mit Alarmsirene vorbeifuhr. «Das war eigentlich der Ursprung dieses Films», sagt Schmid.

Bei seiner Arbeit als Fotograf geriet Klaus Rózsa wiederholt ins Visier der Polizei.

Bei seiner Arbeit als Fotograf geriet Klaus Rózsa wiederholt ins Visier der Polizei.

© aus dem Film «staatenlos»/zvg

Im Film spricht er weitere Ereignisse an, die Rózsas Leben prägten: So traf bei der Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands durch sowjetische Truppen 1956 eine Granate das Budapester Haus, in dem Rózsas wohnten. Klaus war damals zwei Jahre alt. Zu Fuss ergriff seine Familie die Flucht nach Westen. Seine Mutter trug ihn die meiste Zeit, weil er sonst immer geschrien habe. Die Rózsas landeten in der Schweiz und blieben, nach einer Odyssee durch diverse Gemeinden, darunter auch Dietikon, in Zürich. Eine befreundete Familie, die dort eine koschere Metzgerei betrieb, gewährte den Rózsas Unterschlupf. Sie lebten alle in einem Zimmer. Um sich zu waschen, gingen sie täglich ins nahe Volkshaus, erzählen Klaus und seine Schwester Olga im Film.

Zu Wort kommen auch Zeitzeugen wie der Anwalt Franz Schumacher, der Rózsa in vielen Rechtsfällen vertrat. Er formuliert die These, wonach Klaus Rózsas tatkräftiger Widerstand gegen überharte Staatsgewalt auch damit zu erklären sei, dass sein Vater ein Überlebender des Konzentrationslagers Auschwitz war: «Der totalitäre Teil des Staates, den jeder Staat ein Stück weit in sich hat, machte ihn rasend», sagt Schumacher.

Eine Art offene Rechnung

Doch Schmid will mit seinem Film über Klaus Rózsa nicht primär dessen Erfahrungen mit Polizeigewalt thematisieren. Damit hätten sich Gerichte schon zur Genüge befasst. Ihm geht es um eine Art offene Rechnung, die Rózsa noch mit der Stadt Zürich habe, weil diese seine Einbürgerungsgesuche aus fadenscheinigen Gründen dreimal ablehnte. Zuletzt geschah dies 1991. Der entsprechende Antrag trägt die Unterschrift des damaligen SP-Stadtpräsidenten Josef Estermann.

Filmszene aus «Staatenlos»

© Film «staatenlos»/zvg

Als Grund für die Ablehnung des dritten Einbürgerungsgesuchs sei eine angebliche Steuerschuld Rózsas vorgeschoben worden; dabei habe es sich jedoch nur um eine vorläufige Steuereinschätzung gehandelt. Zudem wurde Rózsa vom Stadtrat im entsprechenden Antrag fälschlicherweise als ungarischer Staatsangehöriger bezeichnet. Tatsächlich war er seit 1956 staatenlos. Dies habe ihn in seiner Arbeit eingeschränkt: Er konnte nicht reisen, musste jedes Mal, wenn er ins Ausland wollte, ein Visum beantragen. Schmid schätzt, dass Rózsa dadurch Einnahmen in Höhe von mehreren 100 000 Franken entgingen, weil er Aufträge oder Anstellungen, die mit Reisen verbunden gewesen wären, nicht erhalten habe. Der Filmer hat Stadtpräsidentin Corine Mauch deshalb um Entschädigung für Rózsa angefragt. Die Antwort stehe noch aus.

Frühere Stadtratsmitglieder wie die Polizeivorsteher Robert Neukomm und Esther Maurer (beide SP) wollten laut Schmid im Film nicht mitwirken. Und Alt-Stapi Estermann erwirkte gerichtlich, dass eine bereits gefilmte Szene mit ihm wieder herausgeschnitten wurde. Auch entschuldigt habe sich nie ein Polizeivorsteher oder ein sonstiges Stadtratsmitglied bei ihm, sagt Rózsa. Und fügt an: «Für eine Entschuldigung ist es jetzt viel zu spät.»